Miniaturisierung: Wozu?

Miniaturisierung: Wozu?
Miniaturisierung: Wozu?
 
Möglichst leichte Geräte zu entwickeln, die mit möglichst geringem Materialaufwand herzustellen sind und sparsam und schnell arbeiten, ist seit jeher das Bestreben der Erfinder und Ingenieure. Dies geschah lange Zeit im Rahmen der Feinmechanik, und die kleinsten auf diesem Wege zu bearbeitenden Einheiten setzten der Miniaturisierung eine Grenze. Das klassische Arbeitsgebiet der Feinmechanik waren Taschenuhren; die Miniaturisierung von Uhren setzte im 16. Jahrhundert ein, als der Antrieb durch ein Gewicht abgelöst wurde von der gespannten Feder und als die Feinwerktechnik immer präzisere und kleinere Teile liefern konnte. Dieser technische Fortschritt erlaubte nicht nur die Realisierung neuer Funktionen, sondern vor allem die Einsparung von Material und damit von Raum und Gewicht. Deshalb und dadurch, dass nun auch größere Mengen kleiner handlicher Uhren in verhältnismäßig kurzer Zeit gebaut werden konnten, waren transportable Uhren, wie die Dosenuhren des Nürnberger Mechanikers Peter Henlein, bald für die wohlhabende Bürgerschicht erschwinglich. Die heutigen Armbanduhren verdanken ihre geringe Größe, die Vielzahl ihrer Funktionen (zum Beispiel integrierte Barometer oder Thermometer) und die Präzision ihrer Zeitangabe der modernen Mikroelektronik und Mikrostrukturtechnik.
 
Maßgeblichen Anteil an der rasanten Entwicklung der Technik im 20. Jahrhundert haben die Fortschritte der Elektrotechnik und davon ausgehend die Beherrschung kleiner elektrischer Spannungen und Ströme für die Ausführung immer komplexerer Funktionen — so wurde aus der Elektrotechnik die Mikroelektronik. Gerade hier wurden die Geräte leichter, mobiler, flexibler und einfacher zu bedienen, in großen Serien herstellbar und damit erschwinglicher. Für unsere Großeltern waren Lautstärkeregler und Drehkondensator zur Senderwahl am Röhrenradio noch die einzigen Einstellmöglichkeiten. Wollten sie bewegte Bilder (ohne Ton) bestaunen oder zur Information nutzen, so mussten sie ins »Lichtspieltheater« gehen, wo sie sich die ersten Stummfilme oder später, vertonte Wochenschauberichte ansahen. Heute ist es uns selbstverständlich, im Autoradio aus einer Fülle von Radioprogrammen zu wählen, die darüber hinaus automatisch eingestellt und am Display mit einem Schriftzug angezeigt werden, oder im Passagierflugzeug oder im ICE einen spannenden Spielfilm zu genießen, der auf einem kleinen Flüssigkristallbildschirm zu sehen ist, welcher in die Rückseite des Sitzes vor uns eingelassen ist. All dies wäre ohne Mikroelektronik nicht denkbar. Und die technischen Möglichkeiten, die sie uns eröffnet, lassen Platz für neue Ideen und Visionen. Vor über 3000 Jahren lautete die Frage: Wozu kann das neue Material Bronze verwendet werden? Heute fragen wir uns: Welche Probleme lassen sich mit dem neuesten Computer lösen, der wegen seines noch höher integrierten Mikrochips noch schneller geworden ist?
 
 Miniaturisierung in der Natur
 
Der Nutzen des Verkleinerns hat sich jedoch nicht erst in der technischen Entwicklung unserer Kultur gezeigt, sondern ist eine uralte Erfolgsstrategie der Natur: Die Evolution hat an vielen Stellen Strukturen hervorgebracht, bei denen kleinste Abmessungen mit optimaler Funktionalität gekoppelt sind.
 
Gewichtsersparnis
 
Viele Pflanzen machen sich die Miniaturisierung für ihre Fortpflanzung zunutze, indem sie Pollen oder Samen so leicht konstruieren, dass sie vom Wind über weite Strecken transportiert werden können. So sind die Pollenkörner vieler Baum- und Gräsersorten extrem klein. Die Pollen der Kiefer sind mit 80 Mikrometern Durchmesser noch verhältnismäßig groß, sie werden aufgrund zweier Luftsäcke, die gewissermaßen als Segel dienen, vom Wind noch besser ergriffen. Der Vorteil leichter Pollenkörner bedeutet für die Pflanzen allerdings, dass sie sehr viele Pollenkörner, bis zu mehreren Millionen pro Samenanlage, herstellen müssen, damit bei deren unkontrollierter Verbreitung auch mit genügender Wahrscheinlichkeit ein Pollenkorn auf die Narbe einer weiblichen Blüte gelangen kann. Auch zur Verbreitung der gereiften Samen bedienen sich Pflanzen des Windes. So produzieren einige Orchideen extrem kleine Samen, etwa zwei bis vier Mikrogramm (millionstel Gramm) schwer, die dafür ohne jegliches Nährgewebe auskommen müssen. Um keimen zu können, sind sie deshalb darauf angewiesen, auf einen bestimmten Pilz zu treffen, der ihnen in den ersten Jahren ihres Lebens die nötigen Nährstoffe erschließt. Viele Zigtausende oder gar Millionen solcher Samen erzeugt eine einzige Orchidee. Sie werden über mehrere Hunderte Kilometer verbreitet, bis hinauf in die Wipfel der großen Urwaldbäume, in denen viele epiphytische Orchideen bestens gedeihen.
 
Große Oberflächen
 
Schwerere Samen haben zur Windverbreitung Segel entwickelt. Statt massiver Flächen setzt die Natur dabei auf extrem leichte Strukturen, die zwar löchrig sind, deren Zwischenräume jedoch so kleine Abmessungen haben, dass die Luft praktisch zu »dickflüssig« ist, um ungehindert hindurchzutreten. Bestes Beispiel sind die Schirmchen der Pusteblume, des Samenstandes des Löwenzahns. Auch Vogelfedern sind letztlich auf diesem Prinzip aufgebaut: Viele leichte und kleine Strukturen wirken zusammen, hängen wie Klettverschlüsse aneinander und bilden in ihrer Vielzahl ein im wahrsten Sinn des Wortes tragfähiges Konzept für eine ganze Wirbeltierklasse. Federn hindern die Luft nicht nur am Hindurchtreten. In ihrer Masse bilden sie nahe dem Körper winzige luftgefüllte Parzellen. Zwischen warmer Haut und kalter Außenwelt findet kaum ein Wärmeaustausch statt, die Luft »steht« im Federkleid des Vogels, der damit in die Lage versetzt wird, auch kalte Winternächte auf einem Zweig sitzend unbeschadet zu überstehen. Das ist letztlich der Grund dafür, warum der Mensch so gerne Daunenkissen, Daunenjacken und Daunenschlafsäcke benutzt.
 
Einen vorgegebenen Körper möglichst fein zu strukturieren und damit seine Oberfläche deutlich zu erhöhen, birgt etliche Vorteile gegenüber einer glatten Außenhaut. So kann über ein mit vielen Außenrippen oder Poren versehenes Gehäuse Wärme viel effizienter abgeführt werden. Wir kennen dies vom Kühler unseres Autos oder vom Motorblock des Motorrads. Gerippte oder fein aufgefächerte Fühler ermöglichen es vielen Tieren, eine große Zahl feinster Sinneszellen der Umwelt auszusetzen. Nur durch solche Organe mit Millionen »Geruchszellen« schaffen es Nachtfaltermännchen, noch geringste Konzentrationsunterschiede von Pheromonen (weiblichen Lockstoffen) in der Luft zu ermitteln und zielsicher das Weibchen zu finden, auch über Kilometer hinweg.
 
 Was ist eigentlich »klein«?
 
Mit den Worten »groß« und »klein« gehen wir im Alltagsleben ziemlich unbekümmert um. Die »Größe« eines Gegenstandes ist etwas Relatives und hängt vom verwendeten Vergleichsobjekt ab. Deshalb ziehen wir den Vergleich mit einem Standard vor, den wir »Meter« nennen. Die »Größe« wird gemessen, indem man angibt, wie vielen Metern oder Bruchteilen eines Meters die Länge eines Körpers entspricht. Unter »Größe« verstehen wir oft auch die Fläche oder das Volumen eines Objekts und messen diese folglich in Quadrat- oder Kubikmetern oder Teilen davon. Solange die betrachteten Gegenstände dem Alltagsleben entsprechen, hat man eine recht konkrete Vorstellung von ihren Dimensionen. Eine Entfernung von fünf Kilometern ist eine zu Fuß in einer Stunde leicht zurückzulegende Entfernung. Sieben Millimeter entsprechen dem Durchmesser eines Bleistifts. Doch mit Gegenständen mit Abmessungen unterhalb eines Millimeters tun wir uns schwer. Hat ein menschliches Haar 0,1 Millimeter Durchmesser oder eher 0,01 Millimeter? Gänzlich versagt die Vorstellungskraft bei Objekten im molekularen oder atomaren Bereich. Dass man einen Millimeter wieder in eintausend Mikrometer (μm) unterteilen kann und einen Mikrometer wieder in eintausend Nanometer (nm), ist uns leicht eingängig. Doch um uns diese kleinen Dimensionen wirklich vorstellen zu können, müssen wir uns immer wieder mit mehr oder weniger anschaulichen Vergleichen behelfen: Ein Atom misst beispielsweise etwa ein zehntel Nanometer im Durchmesser. Erst zehn Millionen Atome nebeneinander gelegt ergeben also eine Strecke von einem Millimeter. Dabei ist der Durchmesser eines Atomkerns wieder nur der zehntausendste Teil des Atomdurchmessers. Bei Veranschaulichungen von sehr kleinen Dingen kommen also Zahlen mit so vielen Nullen ins Spiel, dass deren Größe unserer Vorstellungskraft auch nicht annähernd zugänglich ist.
 
 Blicke in den Mikrokosmos
 
Gerade für die Miniaturisierung ist es wichtig, über Messmethoden im Bereich kleiner Dimensionen zu verfügen und über Mittel zur Sichtbarmachung der kleinen Objekte. Einen ersten Blick in den Bereich des »Unsichtbaren« erlaubten die Mikroskope des Holländers Antony van Leeuwenhoek, mit denen er im 17. Jahrhundert einzellige Lebewesen, Bakterien und rote Blutkörperchen entdeckte. Diese sehr einfach gebauten Mikroskope erreichten eine etwa 300fache Vergrößerung und wurden in den folgenden Jahrhunderten aufgrund des wachsenden Wissens um Optik und Feinmechanik immer weiter verbessert.
 
Die heute erreichten Vergrößerungen im atomaren Maßstab blieben aber noch lange Zeit unvorstellbar — damit musste die Idee, dass sich die Materie aus Atomen zusammensetzt, lange Zeit eine unbeweisbare Spekulation bleiben. Nur auf Umwegen konnten man eindeutige Hinweise auf die Existenz von Atomen und Molekülen finden. Der britische Botaniker Robert Brown beobachtete 1827 durch sein Mikroskop, dass feine Pollenkörner, in Wasser gestreut, Zitterbewegungen vollführen. Erst Albert Einstein gelang es, rechnerisch nachzuweisen, dass Stöße der — für das Auge unsichtbaren — Wassermoleküle mit den Pollenkörnern diese Bewegungen verursachen.
 
Warum gelang es den Feinmechanikern auch im 20. Jahrhundert nicht, Mikroskope zu konstruieren, mit denen Moleküle direkt sichtbar gemacht werden können? Der Grund dafür ist, dass die Auflösung optischer Mikroskope prinzipiell begrenzt ist: Sie arbeiten mit sichtbarem Licht, also elektromagnetischen Wellen. Strukturen von der Größenordnung der Wellenlängen des sichtbaren Lichts (zwischen etwa 400 und 800 Nanometer) sind daher das Kleinste, was ein optisches Mikroskop noch aufzulösen vermag. Das entspricht Vergrößerungen von etwa bis zu 2000fach. Mikroskope, die mit den kurzwelligeren harten Ultraviolett- oder gar Röntgenstrahlen arbeiten, sind äußerst schwierig oder gar nicht zu realisieren, da es unter anderem an geeigneten Linsenmaterialien fehlt.
 
Wesentlich vorangebracht wurde die Mikroskopie mit der Erfindung des Elektronenmikroskops durch Ernst Ruska und Max Knoll 1932. Auch Elektronen besitzen Welleneigenschaften. Elektronen, wie sie im Elektronenmikroskop benutzt werden, weisen typischerweise Wellenlängen im Bereich von Tausendstel Nanometern auf. Damit sollte eine Steigerung der Auflösung gegenüber der optischen Mikroskopie um viele Größenordnungen möglich sein. Aufgrund mehrerer technischer Limitierungen können Elektronenoptiken die Vergrößerung aber »nur« um einen Faktor 100 bis 1000 in die Höhe treiben, also Objekte von wenigen Nanometern Größe noch gut auflösen, in extremen Fällen sogar Details unter einem Nanometer. Dies entspricht einer Vergrößerung von bis zu 2 000 000fach! Die Ablenkung und Bündelung von Elektronenstrahlen erfolgt dazu freilich nicht mittels konventioneller Linsen, sondern durch elektrische und magnetische Felder, mit denen man geladene Teilchen in ihrer Ausbreitungsrichtung und -geschwindigkeit auf einfache Weise beeinflussen kann. Auf diesem Prinzip beruhte schon die bekannte Braun'sche Röhre, die Ausgangsbasis auch der modernen Fernsehbildröhren wurde. Viele der Abbildungen in den folgenden Abschnitten sind mit einem Elektronenmikroskop aufgenommen worden.
 
Gerd Binnig und Heinrich Rohrer gelang schließlich 1982 die Konstruktion des ersten Rastertunnelmikroskops (RTM oder auch STM, von englisch: Scanning Tunnelling Microscope). Dieses nutzt den quantenmechanischen Tunneleffekt, der bewirkt, dass zwischen zwei sehr eng benachbarten, elektrisch voneinander isolierten Körpern ein schwacher Strom fließen kann.
 
Dieser »Tunnelstrom« ist umso größer, je näher sich die beiden Körper kommen. Beim Tunnelmikroskop ist der eine Körper eine außerordentlich feine Spitze, der andere eine zu untersuchende Probenoberfläche. Die Spitze wird mittels feiner Verstellelemente sehr nahe an die Probe herangebracht, ohne diese zu berühren, und dann zeilenweise über die Probe geführt (die Oberfläche wird »gescannt«), wobei sich mit dem Abstand der Spitze von der Probe der Tunnelstrom ändern würde. Dieser hängt aber in so starkem Maße von der Größe der Lücke ab, dass er üblicherweise dazu benutzt wird, um den Abstand der Spitze von der Probenoberfläche konstant einzuregeln. Die Aufzeichnung der für die Regelung benötigten Spannung in Abhängigkeit vom angefahrenen Ort stellt ein gerastertes »Tunnelstrom-Bild« der untersuchten Oberfläche dar. Lateral (also horizontal) können durch ein Rastertunnelmikroskop Details von nur 0,2 Nanometern Größe aufgelöst werden, die vertikale Auflösung liegt sogar bei 0,001 Nanometern. Somit können zum Beispiel unter günstigen Bedingungen einzelne Atome aufgelöst werden.
 
Dr. Hans-Dieter Bauer
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Miniaturisierung: Von der Elektronenröhre zum Mikrochip
 
 
Dossier: Mikrosystemtechnik, bearbeitet von Dieter Beste und Marion Kälke. Heidelberg 1996. Sonderheft »Dossier 4/1996« der Zeitschrift »Spektrum der Wissenschaft«.
 Göke, Gerhard: Moderne Methoden der Lichtmikroskopie. Vom Durchlicht-Hellfeld- bis zum Lasermikroskop. Stuttgart 1988.
 
Handbuch der Mikroskopie, herausgegeben von Horst Riesenberg. Berlin-Ost 31988.
 Menz, Wolfgang / Mohr, Jürgen: Mikrosystemtechnik für Ingenieure. Weinheim u. a. 21997.
 Nachtigall, Werner: Bionik. Grundlagen und Beispiele für Ingenieure und Naturwissenschaftler. Berlin u. a. 1998.
 Wicht, Henning: Mikrosystemtechnik. Eine Marktanalyse. Produzenten - Nutzer - Netzwerke als Chance für den Markt. Frankfurt am Main u. a. 1999.

Universal-Lexikon. 2012.

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